Bericht aus dem Weser-Kurier vom 5.Februar 2017
Einfach nur da sein
270 000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich in Bremen, davon sind gut ein Drittel Senioren. Ohne sie würde die Bildungslandschaft leiden.
Als der 70-Jährige die Treppe in der Grundschule an der Augsburger Straße hochgeht, wird er entdeckt. „Hallo, Herr Jeschke!“, ruft ein Junge und verschwindet dann schon mal in Richtung Klassenraum. Nach und nach kommen die anderen Kinder der dritten Klasse und winken fröhlich in seine Richtung. Fredi Jeschke ist an der Grundschule bekannt und beliebt. Er hat vor neun Jahren als ehrenamtlicher Lesehelfer in der Findorffer Grundschule angefangen. Damals hat er dort angerufen und gefragt, ob er aushelfen könnte. Natürlich, war die Antwort. Die Grundschule an der Augsburger Straße hat es ihm dabei besonders angetan. Denn schon seine Kinder haben diese Schule besucht, und er wohnt nur fünf Minuten von dort entfernt.
Bereits vor dem Ruhestand hatte der ehemalige Sachbearbeiter 20 Jahre ehrenamtlich für einen Sportverein gearbeitet, hat organisiert, Wettkämpfe betreut und Jugendliche zum Sport gebracht. Als er dann vor etwa zehn Jahren in den vorzeitigen Ruhestand gegangen ist, suchte er eine neue Aufgabe, um seinen Tag zu strukturieren. „Die Woche geht ansonsten so nutzlos vorbei“, sagt er.
Auch in seinem Sportverein hätte er weiter aktiv sein können. „Aber da sollen mal Jüngere ran“, sagt er. Für ihn war wichtig, wieder etwas mit Kindern oder Jugendlichen unternehmen zu können. „Die Jugend ist schließlich unsere Zukunft“, sagt er. Anfangs hat Fredi Jeschke als Lesehelfer verschiedene Klassenlehrer unterstützt. „Ich bin da, das ist wichtig“, beschreibt er seine Tätigkeit. Mittlerweile betreut er nur noch die Klasse von Karin Apel-Orwaldi. Montags und donnerstags kommt er für einige Stunden. Als klassischen Lesehelfer bezeichnet er sich nicht. Sicher hilft er auch mal dabei, beim Lesen zu üben, „aber ich bastel auch mit den Kindern, wir arbeiten am Computer oder wir rechnen Aufgaben durch“, erzählt er.
Für die Klassenlehrerin ist der helfende Senior eine riesige Entlastung, wie sie erzählt. Kinder, die manchmal etwas mehr Aufmerksamkeit benötigen, kämen so auch zu ihrem Recht. Für sie ist der 70-Jährige deshalb auch eine wichtige Unterstützung, die sie so beschreibt: „Für uns ist er einfach nur Herr Jeschke.“
Fredi Jeschke ist damit einer von über 400 ehrenamtlichen Lese- und Mathehelfern, die zum Großteil von der Freiwilligen-Agentur Bremen vermittelt werden. 311 Lesehelfer und 99 Mathehelfer sind momentan für die Agentur tätig. „Etwa 90 Prozent von ihnen sind Rentner“, erzählt Frank Mayer, der bei der Freiwilligen-Agentur Bremen die beiden Projekte betreut. In etwa zwei Drittel der Bremer Grundschulen sind die ehrenamtlichen Senioren aktiv. „Zunächst waren wir in den Brennpunktschulen und haben das Projekt dann ausgedehnt“, erzählt Frank Mayer.
Sich ehrenamtlich engagieren macht Spaß und bringt neue Erfahrungen. Die Lese- und Mathehelfer gehören damit zu den etwa 270 000 Ehrenamtlichen, die sich in Bremen einsetzen. Das sind 42,3 Prozent. Deutschlandweit engagieren sich 31 Millionen Menschen in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Das ist das Ergebnis des vierten Freiwilligensurveys der Bundesregierung. Der Freiwilligensurvey ist die größte aktuelle Untersuchung zur Zivilgesellschaft und zum freiwilligen Engagement in Deutschland, die seit 1999 alle fünf Jahre erstellt wird.
In allen Bundesländern ist dabei allerdings die Gruppe der Senioren ab 65 Jahren diejenige, die sich am wenigsten ehrenamtlich engagiert. „Das hat natürlich mit den objektiven Möglichkeiten zu tun, sich in höherem Alter noch einzubringen“, sagt Bernd Schneider, Pressesprecher der Senatorin für Soziales. Trotzdem belegt Bremen mit 35,7 Prozent des Seniorenengagements einen Platz im Mittelfeld unter allen Bundesländern.
Ein weiterer Grund dafür, dass Senioren sich weniger engagieren mag auch daran liegen, dass das Ehrenamt nur einen Teil der Freizeit ausmacht. „Das sind topfitte Leute, die ihren Tag sinnvoll füllen möchten“, sagt Frank Mayer. Da sei das Ehrenamt ein Teil von vielen Möglichkeiten, die etwa aus Seniorenuni, dem Schwimmbadbesuch, einem Malkursus oder Reisen bestehen, sagt er. Trotzdem sei die Freizeit keine Konkurrenz für das Ehrenamt, sagt er. „Viele Senioren kommen schon ein halbes Jahr bevor sie in Rente gehen und informieren sich über die Möglichkeiten ihres Engagements.“
Viele Rentner wollen sich außerdem gerne in Projekten für Kinder und Jugendliche engagieren. Das bestätigt auch Ilse Ohrem. Die Lesepatin der Kita St. Elisabeth sagt, dass sie Kindern auf irgendeine Art und Weise unterstützen wollte. Seit acht Jahren liest sie mittlerweile den Kindern in Hastedt vor. „Ich habe meinen Mantel noch nicht ganz ausgezogen, dann kommen sie schon angelaufen“, erzählt die ehemalige Bürokauffrau lachend. Dann setzt sie sich mit den Kleinen in die gemütliche Sofaecke und beginnt zu lesen. Die ehrenamtliche Arbeit mache ihr nicht nur viel Spaß, erzählt sie, sie erhalte von den Kindern auch ganz viel zurück. „Da geht einem das Herz auf.“
Sowohl Ilse Ohrem als auch Fredi Jeschke glauben, dass ihr Ehrenamt wichtig für die Gesellschaft, aber auch für die Entwicklung der Kinder ist. Das bestätigt auch Frank Mayer von der Freiwilligen-Agentur Bremen. Häufig erhalte er die Rückmeldung, dass die Schüler sich positiv entwickeln, dass sie besser lesen und rechnen und sich außerdem besser konzentrieren können. „Wenn dieses Engagement der Rentner für die Bremer Bildung wegfallen würde, wäre es schwerer für die Gesellschaft“, glaubt er. Immerhin bringen sich allein die Ehrenamtlichen der Freiwilligen-Agentur jährlich mit 30 000 Stunden für die Bremer Bildungslandschaft ein.
Marie-Chantal Taidel