Würde sie noch leben, wäre sie jetzt 111 Jahre alt. Aber sie lebt schon lange nicht mehr. Sie wurde nur 68 Jahre alt.
Sie war Sieben, als der erste Weltkrieg begann. Vier Jahre später, am Ende des Krieges war sie Elf. Es war sicher eine schwierige Zeit in dem kleinen Dorf in Westpreußen. Viel ist mir nicht bekannt über ihren Alltag.
Kurz vor ihrem 28. Geburtstag heiratete sie. Kurze Zeit später kam dann ihr erstes Kind zur Welt. Ein Mädchen. Ungefähr eineinhalb Jahre später folgte ein Junge.
In der Zwischenzeit hatte ein Östereicher, Adolf Hitler, die Macht in Deutschland ergriffen. Zwei Jahre nachdem A.H. mit den Soldaten in Polen einmarschiert war kam ihr drittes Kind zur Welt. Es war wieder ein Mädchen. In ihrer Ehe lief es überhaupt nicht gut. Sie wurde von ihrem Mann geschlagen und misshandelt. Sie ließ sich scheiden.
Das Leben in der Kleinstadt, in die sie zog, nachdem sie heiratete, wurde immer schwieriger und entbehrungsreicher. Es war ein Leben mit Lebensmittelkarten. Ein Leben im Krieg.Sie war gezwungen, ihre jüngste Tochter zu ihrem Bruder auf den kleinen Bauernhof in der Nähe der Stadt zu geben. Das Mädchen sollte auch nach dem Krieg in der Familie des Bruders bleiben.
Das Ende des Krieges zeichnete sich ab. Die Soldaten wurden von russischen Truppen zurück gedrängt. Großes Unheil kam über die Zivilbevölkerung. Die Rache der überfallenen Völker war schlimm.
Es blieb nur noch die Flucht. Der Krieg hatte dafür gesorgt. Alles lag in Schutt und Asche. Die ganze Familie packte ihr Hab und Gut auf eine Pferdewagen. Sie musste sich um ihre Kinder kümmern. Es war eine schwere Zeit. Das einzige Pferd, dass sie noch hatten, musste den Wagen ziehen. Die Kinder durften auf den Habseligkeiten sitzen. Eingewickelt in Decken, denn es war Winter. Eine Cousine war 11 Jahre alt. Ihre Kinder waren neun, acht und drei Jahre alt.
Es war eine lange und beschwerliche Flucht. Immer in Angst. Denn aus dem Osten rückten die feindlichen Soldaten nach. Man musste immer mit dem Schlimmsten rechten. Mord und Vergewaltigung durch marodierende Soldaten waren an der Tagesordnung. Am Ende aber schafften sie es.
Sie fanden Unterkunft in einem kleinen Dorf irgendwo in Niedersachsen. Ihnen wurde eine kleine Unterkunft zugewiesen.
Die Menschen, die in dem Dorf lebten, mussten mit den Flüchtlingen teilen. Die Flüchtlinge mussten untergebracht und versorgt werden. Im Jahr 1946 lernte sie einen Mann kennen. Sie war gerade 39 Jahre alt. Es kam, wie es kommen musste. Sie wurde schwanger. Kurz vor Weihnachten gebar sie einen Jungen. Die Beziehung, wenn man sie denn so nennen wollte, war nicht von Dauer. Er verschwand von der Bildfläche und sie war wieder allein. Mit drei ihrer vier Kinder.
Meine Mutter.
Ich kann gut verstehen, wie es für eine Mutter sein muss, mit kleinen Kindern zu flüchten. Von wo auch immer und wohin auch immer.
Sehr bewegend . . .